Jutta Stingl

Jahrgang 1955
Berlin

„Einfach war das nicht. Weil du ja immer wieder gedacht hast, jetzt hast du irgendwas Festes, und dann ging es doch nicht weiter. Da bin ich immer wieder in ein Loch gefallen.“

Jutta Stingl musste sich im Laufe ihres Lebens häufig neuen Situationen und Umständen stellen. Das hat sie viel Kraft gekostet. Die zahlreichen unsicheren Arbeitsverhältnisse und der Systemwechsel mit der Wende haben ihr gezeigt, dass es weniger auf Kontrolle als auf die richtige Einstellung ankommt. Für sie steht fest: Man kann nicht alles planen, aber man kann entscheiden, wie man darauf reagiert. Für sie hat vor allem die Generation ihrer Kinder von der Wende profitiert. Dass sie frei entscheiden dürfen, an welchem Ort sie leben möchten und welchen Beruf sie ergreifen möchten, sei toll. Die Last der Wende, sagt sie, habe eher bei der älteren Generation gelegen, die sich in der neu gewonnenen Freiheit erst zurecht finden musste und mit Verlusten zu kämpfen hatte. Menschen, die heute Veränderung erleben und gestalten, rät sie, nicht mit dem Ellbogen durch die Welt zu gehen – sondern immer Achtung voreinander zu wahren und einen kollegialen Zusammenhalt zu pflegen – anders als sie es in den 1990er Jahren erlebt hat.

„Einfach war das nicht. Weil du ja immer wieder gedacht hast, jetzt hast du irgendwas Festes, und dann ging es doch nicht weiter. Da bin ich immer wieder in ein Loch gefallen.“

„Es hat sich alles verändert: Mieten, Versicherungen, alles. In der DDR war das alles geregelt. Das war auch eine gewisse Bevormundung, aber heute musst du dich um alles alleine kümmern.“

„Den kollegialen Zusammenhalt, den wir vor der Wende hatten, den habe ich danach nicht mehr so erlebt.“

„Für die Kinder freue ich mich über all die Möglichkeiten. Für die Älteren tut es mir manchmal leid. Mit der Freiheit kamen ja nicht nur positive Veränderungen für uns.“

„Was ich jungen Menschen mitgeben möchte? Dass sie sich nicht unterkriegen lassen, aber auch nicht vergessen, dass viele Sachen eben nicht selbstverständlich sind.“

Jutta Stingl wurde 1955 in Berlin Köpenick geboren und lebt dort bis heute. Ihre berufliche Laufbahn begann in der DDR als Wirtschaftskauffrau im Pionierpalast in der Wuhlheide. Nach der Wende wurde der Betrieb abgewickelt und sie verlor ihren Arbeitsplatz. Danach hatte sie viele berufliche Stationen: Über eine Zeitarbeitsfirma, bei der sie auch völlig fachfremde Tätigkeiten erledigen musste, kam sie durch Zufall zum Kurierdienst bei der Post. Bis auch ihre dortige Stelle nach fünf Jahren einer Umstrukturierung zum Opfer fiel. Bei der Pflege ihrer Schwiegermutter entdeckte sie ihr Talent für Pflege und blieb in diesem Bereich, bis sie selber schwer erkrankte. Ihr Mann wurde glücklicherweise immer übernommen, wenn in seinem Betrieb umstrukturiert wurde – und sie habe gewusst, dass sie Verantwortung für ihre Kinder übernehmen musste. Das hat ihr die Kraft gegeben, immer wieder neu anzufangen.