Kerstin Reichelt hat durch die Schließung ihres Studiengangs erfahren, wie stark politische Entscheidungen ins persönliche Leben eingreifen können. Diese Erfahrung hat sie gelehrt, Veränderungen nicht nur passiv hinzunehmen, sondern aktiv nach neuen Wegen zu suchen. Die Wende nimmt sie nicht als einen plötzlichen Einschnitt, sondern als schleichenden Prozess war, der ihre Bildungs- und Lebensplanung nachhaltig beeinflusst hat. Kerstin Reichelt sieht Veränderungen als eine ständige Begleiterin ihres Lebens. Sie ist überzeugt: ein langfristiger Blick und die Offenheit für neue Perspektiven sind der Schlüssel für eine erfolgreiche Transformation. Gesellschaftliche Umbrüche sollten mit mehr Weitsicht gestaltet werden, damit sich Individuen und Institutionen darauf einstellen können.
„Wir konnten auf einmal in den Ostharz zum Kartieren fahren. Das war ein Paradies, das uns vorher verschlossen war.“
„In der ersten Zeit war da vor allem die Neugier, die Menschen auf der anderen Seite des Zauns kennenzulernen.“
„Mein gesamter Freundeskreis im Wohnheim bestand fast ausschließlich aus Menschen aus Sachsen-Anhalt und Sachsen. Zwischen uns Studierenden haben wir eigentlich kaum Unterschiede bemerkt.“
„Wenn ein Teil der Vergangenheit ein Ballast ist, sollte man sich nicht runterziehen lassen, sondern im positiven Sinne das Gelernte nutzen, um darauf aufzubauen.“
„Die Politik sollte nachhaltiger denken. Politische Debatten werden leider immer nur im Rhythmus der vierjährigen Wahlzyklen geführt, so lässt sich Zukunft nicht gestalten.“
„Die Auswirkungen der Wendezeit wären vielleicht anders ausgefallen, wenn damals besser kommuniziert worden wäre, und wenn wir gefragt hätten: Was wollen die Menschen in Ostdeutschland? Was brauchen sie? Was ist ihnen wichtig?“
Kerstin Reichelt wurde 1974 bei Helmstedt, Niedersachsen in unmittelbarer Nähe der innerdeutschen Grenze geboren. Durch die geografische Nähe war die DDR zwar präsent, spielte aber im Alltag kaum eine Rolle. Zufällig war sie mit ihrer Klasse auf Abschlussfahrt in Westberlin, als die Mauer fiel. Zu dem Zeitpunkt nahm sie diese Ereignisse aber nur am Rande wahr. Erst während ihrer Studienzeit spürte sie direkte Auswirkungen der Wiedervereinigung: das Studienfach, das sie in Braunschweig studiert hatte, wurde unter anderem zugunsten von Investitionen in ostdeutsche Universitäten eingestellt. Für ihre Dissertation zog sie deshalb nach Süddeutschland. Heute lebt sie in Berlin. Seit acht Jahren ist sie mit einem Ostdeutschen zusammen und reflektiert daher oft über fortwährende Unterschiede zwischen Ost und West.